Autor: Peter Stuckhard
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neue Westfälische
(Gesamtausgabe vom 22./23.03.-2014)

 

Laufen, ohne zu schnaufen

GESUND DURCH DEN FRÜHLING (5): Wer vier Stunden pro Woche mit niedriger Intensität läuft, senkt bereits sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 50 Prozent

Dirk R. (46) ist frustriert. Beim Blick nach unten muss er sich ein Stück weit vorbeugen. Sein Bauch verdeckt den Blick auf die Anzeige der Waage. Die lässt nur einen Schluss zu: So geht es nicht weiter. Hat nicht auch sein Hausarzt neulich stirnrunzelnd etwas von einem erhöhten Krankheitsrisiko gemurmelt? Dirk R. beschließt: Ich will in Form kommen und dabei auch noch abnehmen. Wie das geht, erklärt ihm Sebastian Mäueler. Der Diplom-Sportwissenschaftler und promovierte Sportmediziner empfiehlt Dirk R. für den Anfang: „Laufen, ohne zu schnaufen“.

 

VON PETER STUCKHARD

 

 ■ Gütersloh. Bevor Sebastian Mäueler ein Trainingsprogramm erarbeitet, macht er sich ein Bild vom körperlichen Zustand seines, nennen wir ihn „Klienten“. Er fragt nach Vorerkrankungen, auch in der Familie, und ermittelt dann den „Ganzkörperstatus“. Zunächst geht es um Größe und Gewicht. Dirk R.’s dünnen Scherz, „Ich bin nicht zu dick, ich bin nur zu klein für mein Gewicht“, nimmt er lächelnd zur Kenntnis. Und misst den Bauchumfang. Der nämlich hat als Indikator für Übergewicht längst den doch eher ungenauen Body-Mass-Index (BMI) abgelöst. Ist er bei Männern größer als 94 und bei Frauen größer als 80 Zentimeter, dann, so Mäueler ungerührt, konstatieren die Fachgesellschaften ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. Auch der Blutdruck wird gemessen, denn ein auf Dauer erhöhter Blutdruck birgt ebenfalls erhebliche gesundheitliche Risiken. „Insgesamt“, so Mäueler, „bekomme ich so einen Eindruck, und wenn alles so weit in Ordnung ist, kann man mit dem Training beginnen.“ Er fügt hinzu, dass die Fachgesellschaften allerdings eine umfangreichere sportmedizinische Untersuchung empfehlen. Dabei wird orthopädisch der Zustand der großen Gelenke und kardiologisch das Herz auf angeborene oder erworbene Schäden untersucht.
Als Nächstes muss sich Dirk R. mit Hilfe des Trainers entscheiden, ob er laufen oder wegen seiner angeschlagenen Kniegelenke lieber radeln will und wie genau er sein Herz-Kreislauf-Training steuern will.

Die erste Möglichkeit: frei nach Schnauze. „Das heißt“, so Mäueler, der bei Elke Zimmermann an der Uni Bielefeld promoviert hat und ein Studio in Gütersloh betreibt, „das Training beginnt auf einer niedrigen Intensitätsstufe. Man kann sich während der Bewegung gut unterhalten, der Atem ist leicht beschleunigt.“ Das, so merkt der Trainer verblüffenderweise an, „können die allerwenigsten. Selbst die meisten Hobbyläufer rennen zu schnell.“ Schnell zeigt sich auch bei Dirk R.: Nicht jeder kann sofort anfangen zu laufen, oft muss man den Körper zunächst mit Gehen an die Belastung gewöhnen.

Die zweite Möglichkeit: Die Steuerung des Trainings über die Herzfrequenz. Dazu braucht es ein Messgerät, zum Beispiel einen Brustgurt und eine Anzeigeuhr. Früher galt die Faustregel: 220 minus Alter. Das hätte für Dirk R. einen Trainingspuls von rund 170 Schlägen pro Minute bedeutet. Heute wird nach einer Formel individuell ein bestimmter Prozentsatz der maximalen Herzfrequenz zur Trainingssteuerung berechnet. „Ich würde für den Gesundheits- und Breitensportler hier mit einer Abschätzung arbeiten“, sagt Mäueler, „natürlich kann man über Tests da genauer herangehen, das ist dann aber eine Frage des Geldbeutels.“ Beim Training werden zwei Bereiche unterschieden: Eine niedrige Trainingsintensität zwischen 75 und 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz und eine hohe im Bereich darüber. „Das Problem ist nur“, sagt der Experte, „dass das alles nur statistische Mittelwerte sind. Die variieren individuell ganz erheblich.“ Die Folge: Viele Sportler überlasten sich und „wundern sich, dass sie langfristig nicht besser werden“. Will man die Ausdauer wirklich gezielt trainieren, heißt es zunächst einen Blick auf den Treibstoff zu werfen, der den Muskelmotor mit Energie versorgt. So,wie ein Automotor mit Strom und Benzin läuft, nutzt der Körper Kohlehydrate (Zucker) und Fett als Energieträger. Die sind im Körper ungleich verteilt. Mäueler erklärt: „Ein 70-Kilogramm-Mann hat fünf Kilogramm Fett am Körper. Das reicht für 120 Stunden Marathonlauf. In der Leber und den Muskeln sind aber nur 650 Gramm Kohlehydrate gespeichert. Die reichen mal gerade für 90 Minuten!“ Mäueler: „Man muss dem Körper also beibringen, seine Reserven aus dem Fett zu beziehen.“

Dazu eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Alle gesundheitlich positiven Effekte ergeben sich bereits bei niedriger Trainingsintensität. Die Blutgefäße werden geschmeidiger, ihre Pufferkapazität steigt, der Blutdruck sinkt tendenziell. Daher der Rat des Experten: „Lieber lange langsam laufen.“ Die schlechte Nachricht: Man nimmt erst ab, wenn der Körper auch bei mittlerer und höherer Trainingsintensität Fett zu verbrennen gelernt hat. Wer, wie Dirk R., ehrgeiziger ist und genau wissen will, wann er denn nun Kohlehydrate und wann Fett verbrennt, kommt nicht umhin, das prüfen zu lassen. Dafür nutzt die Sportmedizin die sogenannte Spiroergometrie, bei der die Atemluft unter Belastung analysiert wird.

 

INFO

Lieber Fett als Zucker verbrennen


♦ Wer untrainiert ist, schafft erst durch Gehen die Voraussetzungen für das Laufen.
♦ Polarisiertes Ausdauertraining erfolgt nach dem Drei-Zonen-Modell.
♦ 80 Prozent sollten in Zone 1 bei niedriger Intensität, ablaufen, 20 Prozent in Zone drei, mit hoher Intensität.
♦ Die Zone zwei, das „schwarze Loch der Trainingsintensität“, kann nur abgeschätzt werden. Wer effektiv trainieren will, muss sich einer Diagnostik unterziehen.